VRUMUSIC

BLOG

Joe Goddard & Raf Rundell über Musik machen und Hören

Wir trafen am Wochenende Joe Goddard von Hot Chip und seinen Freund und Kollegen Raf Rundell zum Gespräch. Zusammen bilden sie das Duo The 2 Bears und der Name kommt nicht von ungefähr. Zwei gemütliche, bärtige Männer erwarteten uns in der Hotel-Lobby eines schnieken Mitte-Hotels, um mit uns ein bisschen über Musik, Banker, Skrillex und Katzen zu reden. (Interview & Illustration: Julius Brodkorb)

Ist das eure Art von Hotel hier?

Raf Rundell: Ein paar Lampen mehr in der Lobby! Ich fühle mich, als würde ich gleich die Füße hochlegen auf dem Sofa.

Joe Goddard: Es sieht aus, wie das, in dem wir letzte Nacht in Paris waren. Das geht schon klar. Ich sehe besser aus, wenn das Licht gedimmt ist.

Habt ihr jetzt die ganze Zeit Interviews gemacht?

Raf: Das ist jetzt etwa das vierte oder fünfte Interview.

Mögt ihr Interviews wirklich oder ist das eher der Pflichtteil eures Jobs?

Joe: Ich mag eigentlich ganz gerne die Interviews in anderen europäischen Städten wie Paris, Berlin oder Barcelona. Sie sind ganz angenehm, weil sie generell recht intelligent sind. In England fragen sie dich, was dein Lieblingsfruchtsaft ist. Ich meine, das ist doch bekloppt, Celebrity Gossip. (Raf lacht sich gerade kaputt.) Vielleicht ein blödes Beispiel. Generell mag ich es, wenn die Fragen dich über das nachdenken lassen, was du tust und du dich auf die Weise neu damit auseinander setzt.

Also lasst uns deshalb mal über Musik reden! Mit Hot Chip machst du, Joe, ja eher Song-orientierte Musik, mit deinem Solo-Projekt geht es etwas tanzlastiger zu. Grundsätzlich, wie geht ihr an das Musikmachen heran?

Joe: Also das mit dem Tanzen… ich mach das nicht mehr so häufig, weil ich einfach älter werde, ein Kind habe. Aber ich habe das Tanzen in Clubs wirklich geliebt! Raf und ich sprachen gerade noch darüber, dass wir das gerne noch mal machen würden.
Verschiedenste Rhythmen sind irgendwie meine Obsession, wahrscheinlich für uns beide. Daher sitze ich oft da und fange mit einem Rhythmus an, den ich vielleicht im Kopf habe oder beim Trommeln auf der Tischplatte, etwas das ich im Radio höre und was mir gut gefällt. Von da aus ist dann der Rest der Musik inspiriert. So geht es bei mir meistens los. Wenn wir beide zusammen arbeiten, ist oft ein Sample, das Raf auf einer Platte gefunden hat, der Ausgangspunkt. Egal wie es zustande kommt, ist es meist der Rhythmus, der den Ursprung ausmacht.
Manchmal wacht man auf mit einer Melodie im Kopf. Am Anfang denkt man, dass es etwas aus einem bestehenden Lied ist, an das man sich vielleicht einfach nur erinnert. Aber dann merkt man, dass es wirklich aus dem eigenen Kopf kommt – grandios!

Benutzt ihr beide mehr analoges oder digitales Equipment?

Joe: Wir gehen da recht pragmatisch ran. Auf dem Album von The 2 Bears sind viele Sachen, die Raf mit seinem iPhone aufgenommen hat. Aufnahmen von den Straßen Londons, Gespräche von anderen und Sachen, die dann am Ende auf dem Album landeten. Ich denke, es ist ganz gut pragmatisch zu sein.

Raf: Du benutzt einfach das, was schnell erreichbar ist. Aber wir sind ganz froh, dass wir beides nutzen können. Wir haben Respekt vor der Kunst eine Platte aufzunehmen. Wir wissen um die Wichtigkeit von richtigem Sound. Wir wollen, dass die Sachen massiv im Club klingen und gut im Radio. Aber ich habe auch immer ein Diktaphon in meiner Tasche, das ist einfach ein fantastisches Werkzeug. Zum Beispiel haben wir eine interessante Unterhaltung auf dem Album. Ich saß vor einem Pub in London an der Themse, wartete auf einen Freund und dort waren zwei Typen, die wie Gordon Gekko aus dem Film „Wallstreet“ waren. Sie waren vielleicht nicht ganz genau wie er, aber sie personifizierten die böse Seite und unterhielten sich über Unternehmens-Fusionen, fantastische Offshore-Anlagen, Tax Breaks und solches Zeug. Wenn man ganz genau hinhört, kann man es aus dem Album raus hören.

Ein anderes Mal saßen wir in Joes Haus und ein Eisverkäufer mit seinem Wagen fuhr durch die Straße, der die Melodie von „The Teddy Bear’s Picknick“ spielte und wir sind direkt auf die Straße gerannt, um das aufzunehmen. Man hört sogar wie Joe flüstert, dass ich mich vorsichtiger bewegen soll, um die Aufnahme nicht zu stören. Ich denke so etwas gibt dem Ganzen eine Atmosphäre und mehr Leben. Elektronische Musik kann sonst sehr kalt und unpersönlich sein, was aber durchaus auch gut sein kann, so ist es nicht. Aber in kalter Maschinenmusik sind wir einfach nicht gut.

Wie steht ihr generell zu Musikern, die nur Computer benutzen und gänzlich auf organische Komponenten verzichten?

Raf: Das ist mir egal. Wenn sie alles damit machen können. Wenn sie in einem Hotelzimmer am anderen Ende der Welt sind können sie natürlich kein Studio und entsprechende Geräte mitnehmen. Manche Erfordernisse lassen die Dinge eben fortschreiten. Da gibt es die berühmte Geschichte vom „Sleng Teng Riddim“ aus Jamaica. Das war die erste elektronische Reggae-Platte, Under me Sleng Teng, der ganze Sound kam aus einem kleinen Casio-Keyboard, weil die Jungs kein vernünftiges Studio hatten. Das Stück ist heute noch ein großer Track in der Dancehall-Szene. Das Ganze hat etwas Persönliches und es ist gut, wenn Leute sich mit ihrer Musik einfach ausdrücken können.

Joe: Ich glaube, was wichtig ist, wenn du nur an deinem Laptop sitzt und Plug-Ins und Software Synthesizer benutzt, ist einfach wichtig…

Raf: …das Chaos?

Joe: Ja, und Persönlichkeit auf andere Weise, weil es sonst so klingt, als ob nur noch der Computer im Vordergrund steht. Wenn alles perfekt und fehlerfrei programmiert ist, es keine Verzerrungen gibt. Man sollte versuchen, die Elemente hervor zu bringen, die es etwas menschlicher klingen lassen. Sonst werden dabei keine Platten herauskommen, die die Leute für längere Zeit in ihr Herz schließen. Ich glaube, dass Unvollkommenheit die Dinge liebenswerter machen.
Wenn ich an die Platten denke, die ich mir immer wieder anhöre, sind es oft die weniger perfekten, wo es kleinere Fehler gibt, der Sänger nicht unbedingt der beste ist, die Stimme nicht durch den Autotune-Effekt gelaufen ist, aber das macht die Aufnahmen einfach realer und liebenswerter.

Und nun zu etwas völlig Anderem. Ihr nennt euch The 2 Bears. Mögt ihr auch Katzen?

(anhaltendes Gelächter.)

Was mich zu der Frage brachte, ich hatte gestern meine bizarrste Konzert-Erfahrung. Ein Freund hat mich zum Skrillex-Konzert eingeladen und während des Konzertes wurden unter anderem Katzenvideos projiziert. Meine Frage ist aber eigentlich, wie ihr das Phänomen solcher Musiker wie Skrillex seht, die ausschließlich rein digitale Musik produzieren und damit unwahrscheinliche Massen von Menschen anziehen.

Raf: Naja, im Grunde ist es ja nichts Neues. Es ist nur eine Fortsetzung von Heavy Metal und Industrial Music. Rock, würde ich sagen – es ist wie es ist. Die Leute in der Dance Music sind verrückt nach Leuten wie Skrillex und dem ganzen Dubstep-Ding, was auch immer das ist. Leute fragen mich „was hältst du von David Guetta, der macht doch auch House Music“, aber ich denke wir kommen einfach aus komplett anderen Welten. Die machen alle ihre Sache, aber ich habe da nicht viel mit zu tun. Ich habe nicht viel von Skrillex gehört, bei dem was ich gehört habe, wunderte ich mich, dass das Schlagzeug wie ein richtiges Rock-Schlagzeug klang. Dance Music in Amerika kann einfach nicht so groß werden, ohne auch ein bisschen Rock zu sein. Die größte britische Dance Band ist wohl The Prodigy. Wenn du sie live siehst, siehst du eine Punk-Show. Das ist eine andere Ästhetik, als die, an der ich interessiert bin. Ich rocke einfach nicht. Ich liebe zwar Bands, aber ich rocke nicht auf diese Weise. Das hängt wahrscheinlich auch davon ab, was man als junger Mensch musikalisch mitbekommen hat. Bevor das Internet kam, gab es Gangs und Gruppen, mit denen man sich identifiziert hat, Mods, Teds, Rocker, Leute, die aufeinander treffen, Punks und Skins. Interessant ist, warum man sich an einem Punkt für etwas entscheidet.

Benutzt ihr denn das Internet selber häufig, lest ihr zum Beispiel Blogs, um neue Musik zu entdecken oder geht ihr immer noch zum Plattenladen?

Joe: Heute kann man auf viele Arten neue Musik entdecken, aber die Quelle, der ich am meisten traue, sind immer noch meine Freunde. Wir spielen uns ständig neue Sachen vor und entdecken neue Richtungen, in die sich Dance Music entwickelt. Gerade wieder gibt es unendlich viele Möglichkeiten, es ist eine aufregende Zeit dafür. Ich gehe auch immer noch zu Plattenläden im Zentrum von London, Phonica oder Soul Jazz zum Beispiel, wo ich durch Tonnen von Vinyl stöbere. Das sind einfach wunderbare Momente im Leben, du kannst dir einfach drei, vier Stunden nehmen und nur Platten hören. Das ist eine tolle Sache, die ich viel mehr genieße, als vor dem Laptop zu sitzen und es dort zu machen. Für mich ist das einfach ein großartiges Vergnügen.

Raf: Es ist einfach extrem bequem, vor dem Laptop zu sitzen. Es ist auch gut, dass ich mir die Sachen sofort dort besorgen kann. Früher bin ich viel in Second Hand Plattenläden gegangen, aber die gibt es heute alle nicht mehr draußen, sondern nur noch virtuell. Ich würde eine gebrauchte Platte immer noch eher auf Discogs kaufen, als etwas über iTunes oder einen großen CD-Store zu holen. Das ist wahrscheinlich letztlich nicht so toll für den Musiker… ich habe leider einen Vinyl-Fetisch. Ich habe viel zu viel davon und müsste eigentlich etwas davon loswerden, aber ich kaufe immer noch mehr. Aber wie Joe schon sagt, es gibt viele Wege an neue Musik zu kommen.

Zur Zeit ändert sich in der Musikindustrie ja einiges, was zu solchen Merkwürdigkeiten führt, dass beispielsweise alle offiziellen Hot Chip-Videos in Deutschland auf YouTube gesperrt sind. Was denkt ihr, wie sich das entwickeln wird?

Joe: Plattenfirmen und Online-Plattformen versuchen ja schon seit langer Zeit irgendwie zusammen zu arbeiten. Zur Zeit wird das Ganze extrem durch die amerikanische Gesetzgebung beeinflusst und die Plattenfirmen versuchen es den Leuten immer schwerer zu machen, an Dinge umsonst zu kommen. Für mich sieht es so aus, als ob alle Versuche relativ zwecklos sind. Es bringt die Sache nicht voran. Das Internet fing mit dem Sharing-Gedanken an, freie Informationen zu verbreiten, was ja wirklich eine gute Idee ist, aber es ist auch hart. Weil das die Dinge sind, die mich interessieren sollten, wenn man bedenkt, dass es für mich eigentlich besser wäre, wenn die Leute nicht so einfach an Musik kämen. Andererseits könnte man nicht so leicht nach Südamerika auf Tour gehen, wenn die Leute nicht auch umsonst an deine Musik kämen. Hätte es Hot Chip vor 20 Jahren schon gegeben, hätten wir vermutlich eine Menge Geld mit Plattenverkäufen gemacht.

Raf: Ihr hättet jetzt größere Häuser!

Joe: Aber gesamtgesellschaftlich gesehen, und vom Nutzen her ist es einfach eine fantastische Informationsquelle und ein Pool an Ideen, die sich frei durch die Welt bewegen können. Ich möchte nicht, dass das aufhört. Ich habe auch nicht besonders viel Mitleid mit Major Labels.

Raf: Major Labels haben einfach nicht rechtzeitig geschaltet. Wenn Leute die Möglichkeit haben etwas umsonst zu bekommen und man ihnen diese Möglichkeit wieder nimmt, dann ist derjenige der Böse. Der ganze Mechanismus der alten Plattenindustrie ist kaputt. Die Idee, jemanden unter Vertrag zu nehmen und Tonträger herzustellen und diese zu verkaufen funktioniert so nicht mehr. Heute ist es einfach selbstverständlich alles umsonst verfügbar zu haben. Man kann es ja auch in gewisser Weise verstehen. Wenn du 15 Jahre alt bist und dich entscheiden musst, ob du von dem Geld fürs Wochenende eine Platte kaufst oder mit deinen Freunden ausgehst und dir ein paar Drinks und Gras kaufst, tja…

Joe: Ich habe oft CDs gekauft, die nicht wirklich gut waren, weil ich sie mir vorher nicht anhören konnte.

Raf: Naja, aber dann hast du die Zeit investiert, sie zu hören. Und das auf eine andere Weise, du hast ihnen einen Wert zugesprochen. Ich habe gelesen, dass ein Experiment gemacht wurde, wo sie den Leuten vier verschiedene CDs in einem Monat gaben. Eine alte, eine neue, modernere, eine Charts-CD und eine Zusammenstellung und am Anfang sie mochten keine der CDs. Aber am Ende fand jeder etwas für sich, weil sie sich damit länger auseinander setzten.

Joe: Durch die Wiederholung…

Raf: Nicht unbedingt nur durch die Wiederholung. Aber jemand hat sich die Mühe gemacht, um die Musik zu machen, jemand anders, um ihn unter Vertrag zu nehmen, jemand anders hat das Artwork dafür gemacht, es wurde gemastert und gemixt, auf Platte gepresst. Bei all diese Sachen steckt ein wenig Herzblut drin. Egal was die Leute denken, irgendwer glaubt daran. Eigentlich mehr als einer, selbst wenn es die mieseste, grausigste Scheiße ist, die du je gehört hast. Irgendwo gibt es jemanden, der es liebt. Alles verdient eine faire Beurteilung. Darum geht es auch beim Platten machen. Lass dich nicht zurückwerfen, vertraue dir selbst, treib dich an, und mag, was du magst! Es ist völlig in Ordnung, dabei instinktiv zu handeln. Wenn etwas dich bewegt, dann reicht das völlig aus, es muss weder cool, ironisch oder sonst was sein. Du magst es, das ist cool.

Was dann auch der Gedanke hinter eurem Label ist. Es ist ja sowohl in London als auch Berlin ansässig. Was verbindet euch mit Berlin?

Joe: Es ist jetzt nicht so, dass es von vornherein geplant war, sondern der Dritte mit dem wir das Label Greco-Roman betreiben lebt seit sechs Jahren in Berlin, wo er vorher für K7 gearbeitet hat. Er betreibt das Label von hier aus und ich denke er fühlt sich hier wohl, weil man noch die Freiheit hat, Parties an ungewöhnlichen Orten zu feiern und solche Sachen. Da gibt es sicherlich eine Menge Dinge, aber meine einzige Verbindung ist, dass ich hier Freunde habe.

Dann danken wir euch für das Gespräch, auch wenn ihr mir immer noch nicht die Frage nach den Katzen beantwortet habt…

Raf: Okay, tatsächlich mag ich Katzen sehr…

tripadvisor flickr americanexpress bandcamp basecamp behance bigcartel bitbucket blogger codepen compropago digg dribbble dropbox ello etsy eventbrite evernote facebook feedly github gitlab goodreads googleplus instagram kickstarter lastfm line linkedin mailchimp mastercard medium meetup messenger mixcloud paypal periscope pinterest quora reddit rss runkeeper shopify signal sinaweibo skype slack snapchat soundcloud sourceforge spotify stackoverflow stripe stumbleupon trello tumblr twitch twitter uber vimeo vine visa vsco wechat whatsapp wheniwork wordpress xero xing yelp youtube zerply zillow px aboutme airbnb amazon pencil envelope bubble magnifier cross menu arrow-up arrow-down arrow-left arrow-right envelope-o caret-down caret-up caret-left caret-right