Am 1. Mai 2012, zwischen einer unglaublichen Hitzewelle und einem sintflutartigen Regenschauer, der sich dann in Hagel verwandelte, unterhielt ich mich ein paar Stunden mit PHON.O, einem der interessantesten Produzenten elektronischer Musik derzeit. Im Studio seines langjährigen Musikerfreundes Apparat sprachen wir über sein Album, das heute, am 18. Mai erscheint, über kreative Phasen und über die Veränderung des Musikmarktes. (Text: Julius Brodkorb, Bilder: Boris Hasselbach & Ben De Biel)
Foto: ©Boris Hasselbach
Carsten Aermes, wie er eigentlich heißt, ist wirklich ein netter Mensch, der auch mal eine lettische Bloggerin anschreibt, dass sie bitte seine Musik nicht zum freien Download anbieten soll, anstatt sofort mit dem Anwalt zu drohen. Aber so richtig erfreut ist er nicht über die wertschätzungsbefreite Kultur, über die man derzeit, auch im Zusammenhang mit der Piratenpartei, viel diskutiert. Das alles hindert ihn jedoch nicht daran, viel Zeit und Energie in seine Musik zu investieren, die sich dafür aber auch ganz offensichtlich durch ihre Produktionstiefe und Qualität von Vielem abhebt.
Dass er ein Perfektionist ist, hört man nicht nur an seiner Musik, sondern sieht man auch an seinem Album-Artwork. Die Schallplatte erscheint in einer limitierten Fassung mit einem 24×24″-Poster und das Artwork hat Aermes, der selbst Grafik-Designer ist, über mehrere Wochen zusammen mit einem 3D-Designer entwickelt, er sagt „ich hatte ganz genaue Vorstellungen und es war ein langwieriger Prozess, weil es richtig schwierig ist das umzusetzen, aber ich bin sehr zufrieden.“ Ein Video zu dem Artwork gibt es leider derzeit nicht, aber „es würde sich anbieten, gerade für den Titeltrack, der ja gar nicht so einen Hit-Charakter hat, aber er passt halt so perfekt. Der Name stand schon recht früh, auch von der visuellen Umsetzung hatte ich immer eine ziemlich klare Ahnung. Deshalb hab ich mich schon Ende Dezember mit dem 3D-Grafiker getroffen und wir haben uns abgesprochen, ob das alles so machbar ist. Er kommt aus dem Produktdesign und wollte es eher glossy haben, aber ich fand, dass es eher Patina haben muss. Eine Animation wäre toll, aber es wäre viel zu anstrengend. Ich konnte es nicht fassen, er hat den schnellsten PC, den es momentan so gibt und trotzdem hat es extrem lange gedauert, das alles zu berechnen.“
Ähnlich verhält es sich auch, wenn PHON.O seine Musik abmischt. So hat er normalerweise immer den letzten Teil der Arbeit im Studio von Apparat gemacht, mit dem er vor einigen Jahren gemeinsam nach Berlin kam, diesmal aber musste er auf das Studio von Modeselektor ausweichen. Die Unterschiede im Studioklang mögen für den Laien nicht unbedingt hörbar sein, für ihn sind sie es aber sehr wohl und so musste er sich erst mal in den neuen Raum hinein hören. „Obwohl die Lautsprecher identisch sind, ist dort der Sound anders. Daher musste ich schon noch ein paar Korrekturen beim Mastering vornehmen, weil ein paar Lautstärkeverhältnisse nicht ganz richtig waren. Hier im Studio hätte ich dann andere Sachen wieder nicht abgeschlossen, aber dafür ist es gut eine Deadline zu haben. Das Schwierige ist, dass ich mit vielen Schichtungen arbeite, zum Beispiel nicht einen Bass-Synth habe, sondern zwei, die ich layere und bei denen ich anteilig die Frequenzen rausschneide, weil ich einfach keine Preset-Sounds hören kann. Ich kann es nicht ertragen, wenn etwas total clean ist, im Unterschied zu einer Leere, wie zum Beispiel bei jemandem wie James Blake, er macht das perfekt. Ich finde die Patina, egal wie anspruchsvoll ein Stück musikalisch ist, extrem wichtig als subtiles Mittel, das viele einfach nicht nutzen.”
Sehr wichtig ist ihm immer eine Wärme in seinen Sounds, die das Album auch ausmachen. Selten kam ein Album in seiner Gänze mit solche einer tieftonlastigen Basis daher, ohne dabei nach Abrissparty zu klingen, sondern vielmehr wie etwas Vertrautes, Beruhigendes, was dennoch einen großen tanzbaren Anteil besitzt. Bei PHON.O klingt alles irgendwie nach Tiefe und besitzt eine musikalische Schönheit. Wenn man seine musikalische Vergangenheit unter anderem mit Chris De Luca (ehemals Funkstörung) bei Labels wie Boysnoize Records betrachtet, ist das nicht unbedingt der nächste logische Schritt. Anderseits aber auch genau das, denn in einer Zeit, wo sich alles zu einem immer lauter und härter entwickelt und Techno und Dubstep vom Sound teilweise an Metal heranreicht, geht er den genau anderen Weg. Das alles aber ohne auch nur eine Sekunde langweilig dabei zu klingen, was an eben jener Vielschichtigkeit in seiner Produktion liegt.
Foto: ©Ben De Biel
Die Produktion eines Stückes kann durchaus ein paar Wochen dauern und fast scheitern, bevor es doch noch zu einem guten Abschluss kommt. Zum Beispiel bei seinem Stück „ABAW723“ zu dessen Entstehung er Folgendes erzählt: „Ich hatte eine harte Deadline für die Veröffentlichung der Maxi, aber erst den Song «Sad Happiness» fertig und keinen zweiten Track. Ich hatte zwar Skizzen und fast fertige Songs, aber das war es aber irgendwie noch nicht. Ich habe mir gesagt, okay, das ist das letzte Wochenende, an dem ich das jetzt mache. Also hab ich mich nochmal hingesetzt, der Projektname war «Last try, Version 5» und auf einmal kam eins zum anderen. Ich hatte dieses tonale Blubbern am Anfang, welches ich aus einer früheren Version mit rübergeholt hatte. Das habe ich anders eingesetzt und plötzlich hatte ich die Bassmelodie und den richtigen Rhythmus und auf einmal stand ganz schnell die Skizze. Bevor ich diesen goldenen Moment hatte, war das Wochenende an dem Anders Breivik Amok gelaufen ist und Amy Winehouse starb. Das war am 23. 7., daher der Titel «ABAW723».“ So schaffte es dann dieser Titel auch mit auf das Album, auch wenn Gernot Bronsert und Sebastian Szary von Modeselektor beim kritischen Carsten Aermes ein wenig Überzeugungsarbeit während der Zusammenstellung leisten mussten.
Das sind alles aufwendige Prozesse, aber es ist ihm wichtig, einen eigenen Sound zu haben und nicht wie einige Musiker den Sound anderer zu kopieren. Neues zu hören ist dafür ebenso wichtig und so sagt er über die Künstler, die er mag: „es gibt ja Sachen, die andere anstrengend finden, die ich aber total easy hören kann. Zum Beispiel Anstam, was ja sehr anspruchsvoll ist. Ich verstehe auch, dass sich Leute das Album nicht in einem Stück anhören können, weil die Musik die Ohren fordert.” Er hört auch Alben im Ganzen durch und nutzt nicht die Shuffle-Funktion von Abspielgeräten. Genauso bewusst, wie er jeden Drumsound tonal an das Gesamtkonstrukt anpasst, hört er eben auch Musik. Von seinem eigenen Album spielt er in seinen Live-Sets alle außer zwei Stücke, deren Verwendung er sich vorbehält. Bei seinen DJ-Sets setzt er allerdings weniger auf eigene Tracks, aber freut sich, wenn andere seine Stücke spielen.
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