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ANSTAM über das Ausschlussprinzip

Lange Zeit wusste kaum jemand, wer sich eigentlich hinter dem Namen ANSTAM verbirgt. Doch mittlerweile weiß man, dass der Musiker und Medienkünstler Lars Stöwe für den ANSTAM-Sound verantwortlich ist. Die Musik selbst, die man auf „Dispel Dances“ und dem vor kurzem erschienen zweiten Album „Stones and Woods“ hören kann, überrascht trotzdem immer wieder aufs Neue. ANSTAM klingt oft experimentell, aber nie beliebig – alles geschieht nach eigenen Mustern und Systemen. In unserem Interview erzählt er wie er das Projekt versteht und welchen Regeln er dabei folgt. (von Julius Brodkorb, Bilder: ANSTAM/50WEAPONS)

Was macht für dich interessante Musik aus? Also Musik, die dich interessiert.

Das ist natürlich eine große Frage. Am treffendsten wäre wahrscheinlich die Bezeichnung „verspielte“ Musik. Aber weniger vom kindlichen Aspekt her, sondern vielmehr gemeint als die Mischung aus Experimentierfreude und Liebe zum Instrument. Da spielen dann Facetten und Ebenen eine Rolle, Überraschungsmomente und vielleicht auch die größere Dichte an Informationen, welche die Musik in sich trägt.

Dann gibt es natürlich noch den emotionalen Ansatz, also all das, was in irgendeine Richtung stark ausschlägt. Da gibt es die extrem schönen, harten, dunklen, melancholischen und / oder auch wahnwitzigen Sachen, die eben auf ihrer Reise alle ein bisschen weiter vordringen als Andere.

Und zu guter Letzt gibt es dann noch die wenigen Bands oder Musiker, die es geschafft haben mit all diesen unterschiedlichen Ansätzen zu arbeiten, also aus dem Vollen zu schöpfen – das ist dann die Musik die mich interessiert. Es gibt eine Textzeile von Ved Buens Ende (der perfektesten Band in meiner Welt), die dieses Gefühl ganz gut auf den Punkt bringt:

>> singing songs that even brought the devil to his knees… <<

Auf dem neuen Album singst du selbst – hast du das vorher schon mal ausprobiert oder kam dir der Gedanke erst mit den neuen Aufnahmen?

Ich habe eigentlich schon immer hier und da mit Gesang gearbeitet, aber eher mit so einem Field-Recording-Ansatz. Ich arbeite mit gesampelten Fragmenten meiner Stimme, weniger mit mir als Sänger. Das kommt daher, dass ich meist mehr an Text interessiert bin und weniger an meiner Stimme. Aber auch das kommt langsam immer mehr bei mir durch.

„Stones and Woods“ heißt dein Album. Oft erinnert mich deine Musik an die filmische Atmosphäre in dunklen, menschenleeren Wäldern. Ziehst du ähnliche Parallelen?

Bei „Stones and Woods“ war ja nicht der erste Gedanke: jetzt machen wir mal ’ne elektronische Platte und packen da eine wirre Dschungel-Story drüber. Die narrativen Elemente von ANSTAM waren schon von Anfang an Gleichnis dafür, wie sich ANSTAM als Konstrukt für mich und in mir entwickelt hat. Und da war von Anfang an klar, dass ANSTAM vor allem Expeditionscharakter hat. Das hat einerseits damit zu tun, dass mich schon seit längerem die Stadt und das Urbane als Inspiration für elektronische Musik mehr und mehr langweilt, und andererseits hat es damit zu tun, dass ich als Künstler einfach daran interessiert bin in Bewegung zu bleiben. Das Album „Stones and Woods“ ist meiner Meinung nach der am weitesten entfernte Punkt den man erreichen kann, ohne den Ursprung von ANSTAM aus den Augen zu verlieren. Das war aber absolut gewollt und so geplant.

Diese Stimmung, irgendwo fremd in der Ferne zu sein – was für ein Stadtkind ja auch der dunkle, menschenleere Wald sein kann – spiegelt ja nur meine eigene Wahrnehmung von ANSTAM wieder. Titel wie „Me and Them“ und „Time Will Show You Who I Am“ sind ja nicht zufällig gewählt. Das Album ist einfach eine klare Flucht nach vorne. Da habe ich sozusagen den ANSTAM-Dämon mal kurz von der Leine gelassen. Das war für mich wichtig und vor allem auch für das ganze ANSTAM-Konstrukt. Dass da natürlich auch Momente des Zweifelns und auch des Alleinseins drin stecken, ist so ein Nebeneffekt den selbstgewählte Isolation dann auch natürlich mit sich bringt.

„Stones and Woods“ steht für mich aber in erster Linie für Material und ist deswegen ein gutes Gleichnis für den Sound von ANSTAM und eben auch für die Form von Organik, die sich durch das Album bewegt.

Die Musik entsteht ja komplett am Rechner, du hast nie mit analogen Synths gearbeitet. Dennoch klingt sie teilweise sehr organisch, vor allem die Drum-Sounds. Wie entstehen diese Sounds?

Meine ersten musikalischen Erfahrungen habe ich ja mit traditionellen Instrumenten gemacht. Als ich dann angefangen habe mit dem Rechner Musik zu machen – interessanterweise eben von Anfang an mit Samples und nicht mit Synths oder Drummachines – war ich ja nicht von dem Gedanken fasziniert, dass ich jetzt Musik machen kann, bei der sich jede Bass- und Snaredrum exakt gleich anhört, sondern das war eher ein Nachteil des Rechners den ich ausgleichen musste. Die Organik vom gespielten Instrument mitzunehmen war schon immer Priorität Nummer 1. Das ist dann halt die harte Schule, die man Mitte der 90er durchläuft und man nur mit einem simplen Sample Cartridge und einem Amiga 500 arbeitet. Da sampelt man dann einen Funkbreak, schnippelt sich eine Bassdrum, Snare und Hi-Hat raus, setzt einen schönen Boom-Tschak-Boom-Boom-Tschak-Beat und wundert sich, warum das dann außergewöhnlich scheiße und überhaupt nicht mehr funky klingt. An den Punkt zu kommen, wo man dann mit drei oder vier verschiedenen Bassdrums arbeitet, die unterschiedlich laut sind, die eine ein bisschen gefiltert, die andere mit weniger Attack – das hat schon seine Zeit gedauert (… ohne Youtube Tutorial Videos).

Mittlerweile habe ich natürlich auch so meine Tricks. Ich spiele fast 90 Prozent aller Spuren selber ein. Nicht über Mikrofon, sondern über MIDI, aber der Effekt des gespielten Instrumentes ist trotzdem da. Ich nutze vielleicht auch die ein oder andere Sache im Studio etwas anders als die Anderen, und bin allgemein sehr experimentierfreudig was Digitales angeht.

Ich erinnere mich, dass ANSTAM ursprünglich mal ein gemeinsames Musikprojekt von dir und deinem Bruder war. Mittlerweile macht er nur noch das Artwork. Oder war die Arbeitsteilung auch damals schon so?

Bei den ersten drei 12-inches die wir mit HARDWAX zusammen rausgebracht haben – sozusagen die erste ANSTAM Phase – war Jan auch an der Musik beteiligt. Sein Hauptaugenmerk galt aber auch zu diesem Zeitpunkt schon immer mehr den dinglichen Aspekten von ANSTAM. Seine Spielwiese war die Haptik des Vinyls – dass wir anstatt des üblichen 12-inch-Labels auf den Platten eben 7-inch-Labels benutzt haben, dass zwar alle Labels schwarz anmuteten aber unterschiedlich gemischte Schwarz-Töne sind, dass da immer eine Blüte auftaucht die sich von Release zu Release mehr öffnet – all das war seine Baustelle.

Jetzt, in der zweiten Phase von ANSTAM bei 50WEAPONS, gibt es die klare Trennung. Jan macht das komplette Artwork und ich die Musik. Aber da wir als Brüder ähnlich konditioniert sind, ist die Art wir er graphisch arbeitet der Art wie ich musikalisch arbeite sehr ähnlich.

Betrachtest du deine Musik nur aus der Sicht eines Medienkünstlers oder hast du auch keine Berührungsangst mit dem Clubkontext? Möglicherweise fungiert die Musik ja auch als Bindeglied zwischen beiden Welten.

Ich habe, glaube ich, nicht die unbedingte Sicht eines Medienkünstlers. Das was mich künstlerisch interessiert und das was ich künstlerisch mache kann man eben ganz gut als Medienkunst zusammenfassen. Ich habe aber immer noch genau die gleiche Lars Stöwe-Sichtweise wie vor dem Kunststudium und die Dinge die mich interessieren und antreiben sind auch immer dieselben geblieben.

Ähnlich geht es mir mit der Clubkontext-Sichtweise. Da hab ich auch keine. Mir wird ja ständig erklärt was die ungeschriebenen Regeln der Clubmusik sind, was man denn darf und was nicht und all das wogegen ich mich mit ANSTAM anscheinend gewagt habe aufzulehnen – aber das ist am Ende genau die Logik, mit der ich mich gar nicht erst zu beschäftigen anfange. Für mich ist der Club ein großer Raum voller Leute in dem man laut Musik machen kann. Nicht mehr und nicht weniger.

Wenn man jetzt ANSTAM zusammenfasst als massiven aber eleganten Rhythmus, majestätisch anmaßende Harmonien und einen guten Schwung Komplexität, gepaart mit einem Schuss Wahnsinn, dann hört sich das für mich eben auch nach einer gesunden Clubnacht an. Kopf und Hüfte.

Wir leben ja in einer Zeit, in der man gerne das Ausschlussverfahren anwendet. Entweder du bist Künstler oder verdienst viel Geld. Entweder du machst anspruchsvolle Musik oder funktionierst im Club. Entweder Techno oder Post-Dubstep…

Im Endeffekt ist das alles äußerst unproduktiv und meistens einfach auch falsch.

Was mir an ANSTAM immer wieder angenehm auffällt, ist der ständige Wandel innerhalb der meisten Stücke. Auf dem neuen Album sind aber auch längere repetitive Passagen. Dennoch passieren immer merkwürdige subtile Dinge im Hintergrund. Ein gutes Beispiel ist „Hope’s Soliloquy“. Bist du selbst schnell gelangweilt, wenn sich etwas wiederholt und wenn ja: gilt das für das Musik hören wie für das Musik machen?

Hier kann man gut erklären was ich mit verspielt und mit Liebe zum Instrument meine. Wenn ich im Übungsraum stehe und mit meinem Bass ein einfache Melodie spielen soll, spiele ich die ja nicht 5 Minuten durch, sondern fange eben irgendwann an mit dem Instrument und der Melodie wirklich „zu spielen“. Dann fange ich an zu akzentuieren, zu verschleppen, zu umspielen und hier und da auch mal was gepflegt zuzukleistern. Ab dem Punkt interagiere ich als Mensch mit dem Instrument und der Melodie in Echtzeit. Und da das alles sehr schnell und unmittelbar funktioniert, stecke ich viel von mir als Mensch in die Bassmelodie – Erfahrungswerte, Vorlieben und Charakter machen dann mehr die Musik aus als durchdachte Entscheidungen. Und genau jetzt fange ich an, mich von jedem anderen zu unterscheiden und eine eigene, ganz persönliche musikalische Sprache zu sprechen.

Wie bei jeder Unterhaltung macht es einen großen Unterschied, ob ich einfach nur die Worte aus meinem Mund kommen lasse oder ob ich mit meinem gesamten Körper hinter dem Inhalt meiner Worte stehe. Mit Musik ist das genau das Gleiche und das hat auch nichts mit digital/analog oder Rock/Electro zu tun, denn wenn ich mich bei einer Acid-Nummer am Cut-off-Filter abarbeite ist das genau der gleiche Effekt.

Wenn ich in meinem Studio sitze höre ich mir die einzelnen Instrumentenspuren genau so an – als ob ich sie live mitspielen würde. Dann merke ich an verschiedenen Punkten ob was fehlt oder zu viel ist, und irgendwann weiß ich dann, dass es passt. Mir ist aber natürlich auch bewusst, dass ich jemand bin, der eine viel größere Dichte an Information pro Song ertragen kann, als so manch anderer.

Du hast meines Wissens bisher recht wenige Remixe gemacht, außer für eLan und mehrere für Radiohead. Arbeitest du gerne mit dem Material von anderen oder hast du in den Fällen eher Ausnahmen gemacht?

Remixe sind ja gerade im Clubkontext eigentlich immer mehr Teil des ganzen Promotion-Apperates geworden und so auf größtmögliche Publikumswirksamkeit ausgerichtet. Und da wird man als Spezialist weniger oft mit ins Boot geholt. Interessanterweise sind die bisherigen großen Remixe für Radiohead, Alt-J und den Hollywood Film „Cloud Atlas“ alles eher Anfragen aus dem „Indiebereich“ gewesen…

Die Idee des Remixens ist für mich aber schon immer äußerst attraktiv gewesen. Ich habe früher schon oft meine Freunde versucht zu Abenden zu überreden in denen es darum ging, dass alle den gleichen Drumbreak kriegen und dann jeder eine halbe Stunde Zeit hat damit was zu machen und dann wird verglichen. Also die Idee, zu schauen wie verschiedene Künstler mit ein und demselben Material in verschiedenster Weise umgehen, ist für mich schon sehr reizvoll. Allerdings hat das Remixen heutzutage mit diesem eher künstlerischen Anstatz leider nicht mehr viel zu tun.

Machst du auch weiterhin Medienkunst oder ist die Musik mittlerweile deine Basis?

Musik war in den letzten zwei Jahre auf jeden Fall die Basis und zeitlich gesehen die Priorität. Bildende Kunst habe ich eigentlich in den letzten Jahren gar nicht mehr gemacht, wird aber jetzt gerade auch bei mir wieder ein immer aktuelleres Thema. Das erste zu lösende Problem für den Künstler ist ja eine Eigenart zu finden, so was wie ein loses Modell, in – oder an dem – er sich abarbeiten kann. Das kann ein bestimmtes Material sein, ein bestimmtes Thema, oder ein ganz bestimmter handwerklicher Kniff, der einen von den Anderen unterscheidet. In der Musik hatte ich schon ziemlich früh so ein Modell, in der bildenden Kunst war ich danach aber immer auf der Suche. Jetzt im letzten Jahr bin ich diesem Arbeitsmodell aber ziemlich nahe gekommen.

Schon seit dem Anfang des Kunststudiums spukt in mir so eine Idee vom modernem digitalen Bildtyp, den ich technisch aber nie so richtig fassen konnte. Das ist so eine Mischung aus traditionellem Gemälde und digitaler Simulation. Jedenfalls bin ich in dieser Fragestellung entscheidend weitergekommen und werde auch demnächst hoffentlich in der Lage sein, dies dann zu konkreten Arbeiten werden zu lassen. Aber Kunst ausstellen hat ja auch immer viel mit Infrastruktur zu tun und da hatte ich bisher noch keine Nerven mich darum zu kümmern.

Am 8. März fand im Berghain die Release-Party für das Album von Thom Yorkes Band Atoms For Peace statt, bei der du gemeinsam mit Shed für den Support gesorgt hast. Wie siehst du dich im Kontext der anderen Musiker auf 50Weapons bzw. Monkeytown?

Musikalisch kocht ja da jeder sein eigenes Süppchen, aber vom Typus Mensch/Künstler/Musiker sind wir uns alle schon ziemlich ähnlich. Jedenfalls die, die ich aus Berlin kenne. Das sind alles ausgeschlafene Herren, die fokussiert an ihren Sachen arbeiten und einen ganz bestimmten Plan nicht aus dem Auge verlieren. Und unterwegs ist das auch immer außerordentlich unterhaltsam.

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